Riederers Vermutung, "eine Empfindlichkeit von Herrn Wiegrefe" getroffen zu haben, trifft zu und lässt sich präzisieren. Als in der Hörfunksendung des Bayerischen Rundfunks zur Reichstagsbrandkontroverse interviewter Biograf von Paul Karl Schmidt alias Paul Carell kann ich belegen: Wiegrefes Marginalisierung der Rolle Schmidt-Carells an der Durchsetzung der These vom Alleintäter van der Lubbe im SPIEGEL wird dessen umfassendem Anteil an der Vor- und Aufbereitung des Themas Reichstagsbrand für die SPIEGEL-Leser nicht gerecht. In meiner Studie "Paul Carell", habe ich nachgewiesen, dass Schmidt-Carell nicht nur, wie Fritz Tobias der Autor der SPIEGEL-Serie zum Reichstagsbrand, in seiner Aussage vor dem Amtsgericht Hannover am 6. Juli 1961 einräumte, aus Tobias' Aufzeichnungen "ein Komprimat hergestellt" hat, sondern schon fast drei Jahre vor der eigentlichen Reichstagsbrandserie Ende 1959/Anfang 1960 im SPIEGEL bereits am 16. Januar 1957(!) die These vom Alleintäter van der Lubbe in eben diesem Nachrichtenmagazin vertrat.6 Von einer kurzfristigen, marginalen Tätigkeit Schmidt-Carells in Sachen Reichstagsbrand beim SPIEGEL kann also keine Rede sein. Dadurch dass Schmidt Argumente von Tobias' späterer Serie vorwegnahm, die u.a. die Glaubwürdigkeit des ermittelnden Kriminalkommissars Zirpins betrafen, hat er die Alleintäterthese schon Jahre vor Tobias' Serie im SPIEGEL lanciert.
1 Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945.
Berlin 2005. [Zurück zum Text]
2 Menschen machen Medien. Heft 7-8/2006, S. 24. Die Zeitschrift ist auch online verfügbar
unter dem Link: http://mmm.verdi.de/archiv/2006/07-08/pressefreiheit/autorisierung_und_rechthaben . Bis 2001 hatte der
SPIEGEL zu seinem Mitarbeiter Schmidt-Carell keine Aussage gemacht. 2001 wurde seine Rolle bei der Reichtagsbrandserie
von Klaus Wiegrefe den SPIEGEL-Lesern als unbedeutend dargestellt. Vgl. ZEITGESCHICHTE. Flammendes Fanal. Der
Reichstagsbrand 1933 war das Signal für den Beginn des braunen Massenterrors. Über die Hintergründe wird bis heute
gestritten. Einige Wissenschaftler wollen aus jetzt aufgefundenen Dokumenten herauslesen, dass der Holländer Marinus
van der Lubbe doch nicht allein das Feuer legte. Von Klaus Wiegrefe. In: DER SPIEGEL 15/2001 (9.4.2001), S. 38 ff.
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3 Der Reichstagsbrand - ein Kriminalfall aus der Nachkriegszeit. Bayern 2 Radio. Autoren:
Gerhard Brack und Tobias Hübner. Redaktion: Rainer Volk. Sendedatum: 23.2.2006, 18.05 Uhr. Zur Sendung vgl. auch den
TELEPOLIS-Beitrag von Christiane Schulzki-Haddouti vom 25.2.2006: Der Reichstagsbrand. Über 70 Jahre danach ist der
Reichstagsbrand noch immer ein vermintes Gelände: Jedem, der sich darauf wagt, drohen Ruhm und Gesichtsverlust
zugleich. URL/Link: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22127/1.html [Zurück zum Text]
4 "Stehen Sie auf, van der Lubbe". Der Reichstagsbrand 1933 - Geschichte einer Legende.
Nach einem Manuskript von Fritz Tobias. In: DER SPIEGEL 43/1959 (21.10.1959) bis 1-2/1960.
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5 Menschen machen Medien, S. 24. [Zurück zum Text]
6 Ich bin ein Lump, Herr Staatsanwalt!" Gehenkte machen Revolution. Vom Schicksal des
Laszlo Rajk, Treitscho Kostoff, Rudolf Slansky und anderer geehrter Toter. 9. Fortsetzung der 11teiligen Serie. In:
DER SPIEGEL 11.Jg. Nr.3/1957 v. 16.1.1957, S. 28-35. Die Identität Paul Karl Schmidts als Autor dieser SPIEGEL-Serie
ist belegt durch einen Brief von Fritz Tobias vom 14.3.1958 an Willi Peters, Mitarbeiter der SPD-Parteizentrale in
Bonn. In diesem Brief, der dem Verfasser zusammen mit anderen Unterlagen von Fritz Tobias dankenswerterweise zur
Verfügung gestellt wurde, nennt Tobias selbst Schmidt als Autor der Serie. Es handelt sich um einen Antwortbrief von
Tobias, dem die Zusendung einer Warnung über die NS-Vergangenheit Schmidts und dessen gegenwärtige Aktivitäten unter
Pseudonymen aus der SPD-Parteizentrale vorausgegangen war, die der SPD-Pressechef Fritz Heine als Anlage seines Briefes
v. 13.3.1958 an Tobias geschickt hatte. Zudem wird im Impressum der betreffenden Ausgabe des SPIEGEL 3/1957 v. 16.1.1957,
S.46, unter "Mitarbeiter dieses Heftes" aufgeführt: "Dr. Paul Karl Schmidt". Ebenfalls im Impressum ist unter
"Verantwortliche Redakteure" für "Internationales, Mittelamerika, Serie" genannt: "Dr. Horst Mahnke. Vgl. dazu
ausführlich Benz, Paul Carell, S. 72-75. [Zurück zum Text]