
Schwanneckes Weinstuben

Bei "Schwannecke". Zeichnung aus Curt Morecks
Führer durch das lasterhafte Berlin
Aus: roth, S. 178
In Schwanneckes Weinstuben, wenige Schritte von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und dem Romanischen Café in der Rankestraße 4 gelegen, trafen sich nachts die arrivierten Autoren und Theaterleute der Zwanziger Jahre.
"Man kann die Entwicklung eines Berliner Künstlers, Journalisten oder Schriftstellers nicht deutlicher erkennen, als wenn man hört: ´Er geht nicht mehr ins Romanische. Er ist jetzt viel bei Schwannecke´. Diese Feststellung verrät, unausgesprochen, Kontraktabschlüsse, Avancement, Mehreinnahmen, herannahenden Ruhm. Die beiden Lokale liegen keine drei Minuten auseinander. Aber für manchen dauert der Weg vom einen zum anderen Jahrzehnte, und die meisten legen ihn nie zurück.
Schwannecke ist eine Weinstube, wie gesagt. Nicht groß. Zwanzig Tische haben Platz, zum Teil in Nischen. Es reicht für die Prominenten so ziemlich aus ... Der Wirt ist Schauspieler, ein guter Schauspieler. Und während der Münchner Rätezeit war er sogar Intendant der Bayrischen Staatstheater. Jetzt besitzt er eine Weinstube, spielt an der Berliner Volksbühne komische Charaktere und führt auch Regie. Er hat Talent zum Wirt, und auf der Bühne spielt er die - bekanntlich im Lustspiel sehr beliebten - Weinfabrikanten unvergleichlich.
Da er selber vom Bau ist, hat die Stimmung in seinem Lokal von vornherein jede denkbare Garantie. Mit diesem Schauspieler hat der Wirt früher mal Theater gespielt; von jenem Dramatiker hat der Wirt ein Stück inszeniert - wenn Schwannecke nicht schon der geeignetste Inhaber der Weinstube wäre, wäre er ihr geeignetster Gast. Ein seltener Glücksfall.
Die Erfolgreichen, die Schauspieler, Dichter, Maler, Baumeister, Regisseur und Filmgrößen, haben viel weniger Zeit als die Neulinge vis-à-vis im Wartezimmer des Ruhms, im ´Romanischen´. Sie müssen arbeiten. Berühmtheit ist, aus der Nähe gesehen, Arbeit und nichts weiter.
Und so haben alle, die hier einkehren, im Grunde keine Zeit zur Einkehr. Sie kommen spät am Abend, nach dem Theater, nach der Amerikareise, nach der Gastspieltournee, nach dem Abschlüssen mit dem Verleger oder mit ihm. Alfred Polgar, Ernst Deutsch, Bronnen, Brecht, Heinrich George, Paul Morgan, Ernst Toller, Lion Feuchtwanger, Carl Zuckmayer, Elisabeth Bergner, Paul Graetz, Albert Steinrück, Rosa Valetti, Hermann Valentin, Conrad Veidt ( wenn er nicht in Hollywood filmt), der Zeichner Dolbin, Regisseure, namhafte Journalisten, berühmte Frauen - alles trifft sich hier gelegentlich. Alle begrüßt Johnny, das Faktotum, mit Handschlag. Die meisten duzen sich. ´Wie geht´s?´- ´Wie weit bist du mit dem neuen Roman?´ - ´Ist das vor der Tür dein Auto?´"
Aus: Erich Kästner, Das Rendezvous der Künstler, Neue Leipziger Zeitung vom 26. April 1928
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