![]() Schauspielhaus"Meine Liebe zum Theater war die Liebe auf den ersten Blick, und sie wird meine Liebe bis zum letzten Blick bleiben. Mitunter habe ich Theaterkritiken geschrieben, zuweilen ein Stück, und die Ansichten über diese Versuche mögen auseinandergehen. Doch eines lasse ich mir nicht abstreiten: Als Zuschauer bin ich nicht zu übertreffen."Aus: junge, S. 111 "Können Sie sich vorstellen, wie das ist: fast jeden Abend ins Theater gehen. Berlin hat etwa dreißig Bühnen. Und wenn jede von Ihnen im Monat nur eine Premiere hat, ist schon jeder Abend ausgefüllt. An manchen Tagen verstopft sich das Programm geradezu! Dann liegen für drei und vier Theater Billets auf meinem Schreibtisch, und es bedarf der raffiniertesten telefonischen Manöver, bis alles geregelt ist." Aus: Erich Kästner: Berliner Theaterbrief, Neue Leipziger Zeitung vom 13. Januar 1929
Aus: ecke, S. 13 Für die "Neue Leipziger Zeitung" schrieb Kästner von 1927 bis 1933 kontinuierlich Theaterrezensionen, Saisonrückblicke, Berichte über die wirtschaftliche Situation der Theater (vor allem während der Weltwirtschaftskrise), sowie Grundsätzliches über Klassikeraufführungen und neue Theaterformen. Über das Staatstheater am Gendarmenmarkt und vermeldete er wenig Positives. Es beginne unter dem Intendanten Leopold Jessner "selig zu entschlafen", konstatierte er am 6. Januar 1928. Jessner war der erste Intendant des Schauspielhauses in der Weimarer Republik. Am 12. 12. 1919 eröffnete er das ehemalige Hoftheater neu mit einer Inszenierung von "Wilhelm Tell", die wegen einer Saalschlacht fast abgebrochen werden mußte. Jessner, einer der großen Vertreter des modernen Regietheaters, ließ das Stück auf einer kargen Stufenbühne spielen und verzichtete auf das übliche Dekor. Als Jude und Sozialdemokrat wurde Jessner von der politischen Rechten jahrelang angefeindet. 1930 gab er auf, er starb 1945 im Exil in New York. Aus Anlaß von Jessners Demontage schrieb Kästner am 13. Januar 1930 in der Neuen Leipziger Zeitung: "Berlin wäre, so heißt es, eine Weltstadt. Nun, möglich ist alles. Aber alles, was man sieht, wirkt eher wie der wagehalsige, aussichtlose Versuch zur Weltstadt, nicht wie sie selbst. Die Untergrundbahnprojekte werden gestoppt. Im Bau befindliche Bahnen werden nicht weitergeführt. Die Zahl der Arbeitslosen wächst. Ein Theaterdirektor begeht Selbstmord. Weil er 15.000 Mark Umbauschulden nicht zahlen kann? Man hätte ihm das Geld geliehen. Er hatte Freunde. Nein, er mußte wohl ahnen, daß das nichts nützen würde. Er spürte gewiß, daß sich der Berliner Boden dreht. Ein Teufelsrad. Da ist die Fähigkeit, fest auf eigenen Beinen zu stehen, noch keine Granantie dafür, nicht zu fallen. Hier muß man Häuser bauen können, während sich der Boden unter den Füßen fortbewegt. Hier ähnelt die Welt nicht etwa nur einer Bühne, sondern der Drehbühne. Da muß man zu gleicher Zeit stehen und laufen können, sonst verschwindet man spurlos im Hintergrunde... Im Hintergrunde dieser Drehbühne wird nächstens, auf Grund eines allgemeinen Übereinkommens, der Intendant der Staatstheater, Leopold Jessner, verschinden. Obwohl erst kürzlich sein Kontrakt auf weitere fünf Jahre verlängert wurde. Er muß weg, heißt es. Absägen, Vernichten, Kaltstellen ist eine besondere Berliner Begabung. Und die sie ausüben, tun das gern und leidenschaftlich."
Aus: markt, S. 103 |