Die Auseinandersetzungen um die "Anerkennung der Revolution" schlagen Anfang Juni in der Nationalversammlung hohe
Wellen. Am 9. Juni wurden im "Kastanienwald" vor der Singakademie konservative
Abgeordnete bedroht. Der Kommandeur der Bürgerwehr und der Polizeipräsident erlassen daraufhin im Umkreis des Parlaments ein
Versammlungsverbot, das von den radikalen Demonstranten allerdings nur wenig beachtet wird.
In wütendem Protest gegen die Nationalversammlung und die Repressionen der Bürgerwehr drängen die Demonstranten, unter denen
sich viele brotlose Arbeiter befinden, zu radikaleren Schritten. Der Ruf nach allgemeiner Volksbewaffnung wird immer stärker
und am 14. Juni lautstark vor dem Kriegsministerium vorgetragen. Eine schnell herbeigerufene Einheit der Bürgerwehr unter
dem Kommando des Majors Benda versucht, die aufgeregte Menge mit gefälltem Bajonett zurückzudrängen.
Wie am 18. März auf dem Schloßplatz gerät auch hier die Situation durch mehrere Schüsse vollends außer Kontrolle. Einige
Bürger, die sich freiwillig der Einheit angeschlossen haben, eröffnen ohne ausdrücklichen Befehl gezielt das Feuer auf die
Demonstranten. Das Resultat: Zwei Tote und mehrere Verletzte. Wutentbrannt beschließen die Demonstranten daraufhin, die
Volksbewaffnung nun auf eigene Faust durchzusetzen. Noch in den Abendstunden des 14. Juni setzen sie zum Sturm auf das
Zeughaus an.
Die Bürgerwehr ist trotz eines Generalalarms nicht in der Lage, den Sturm auf das Zeughaus zu verhindern. Auch die gemeinsam
aufgestellten Wachen der Bürgerwehr und des Militärs reichen zur Verteidigung des Waffenmagazins nicht aus. Die wütende
Menge dringt weitgehend ungehindert in das Zeughaus ein und plündert nicht nur Gewehre und Munition. Auch Trophäen und
Regimentsfahnen werden von den Wänden gerissen und zerstört - eine unerhörte Provokation für das preußische Militär.
Erst als im Lauf der Nacht zwei Bataillone des 24. Infanterieregiments zusammen mit mehreren Einheiten der Bürgerwehr
aufmarschieren, können die Plünderer in die Flucht geschlagen werden. Die meisten Waffen werden noch vor Ort eingesammelt
oder in den folgenden Tagen auf der Straße und bei Haussuchungen sichergestellt. Das Waffenmonopol von Bürgerwehr und
Militär ist somit wiederhergestellt. Dennoch: Der Schock über die "heldenhafte Verteidigung des Zeughauses" sitzt
tief.
Der Tag nach dem Sturm: Die Atmosphäre in der Stadt ist gereizt, Gerüchte gehen um. Ein Büchsenmacher erklärt ausdrücklich,
am Tag zuvor nicht auf demonstrierende Arbeiter geschossen zu haben. Diese Erklärung hat ihren guten Grund: Die Wohnung des
Majors Benda, der den Einsatz der Bürgerwehr vor dem Kriegsministerium geleitet hat, wurde bereits durch einen wütenden Mob
verwüstet und geplündert.
Der Zeughaussturm löst eine Kette von politischen Reaktionen aus. Das Ministerium Camphausen und auch der Polizeipräsident
von Minutoli treten zurück - nicht zuletzt auf Druck des königlichen Hofs in Potsdam. Im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik
stehen jedoch das Verhalten der Bürgerwehr und ihres Kommandeurs Blesson. Ihm wird die Hauptschuld an dem blamablen
Auftreten der Truppe angelastet. Nachdem er erst Anfang des Monats das Kommando von dem scheidenden Major von Aschoff
übernommen hatte, tritt er noch am 15. Juni zurück.
Am gleichen Tag wird Major Rimpler zum neuen interimistischen Kommandeur der Bürgerwehr gewählt. Rimpler ist deutlich
bemüht, zu einer Entspannung der aufgeheizten Lage beizutragen. Er ruft seine Kameraden zu besonnenem Verhalten auf und
ermahnt sie ausdrücklich, die Waffe nur im äußersten Notfall zu gebrauchen.
Das staatliche Vertrauen in die Bürgerwehr ist erschüttert. Der Kriegsminister ruft mehrere Landwehrbataillone nach Berlin,
die zur Unterstützung der bürgerlichen Schutztruppe eingesetzt werden sollen.
Im Juli 1848 werden die Ordnungskräfte weiter verstärkt: Nach englischem Vorbild wird eine Konstablertruppe aufgestellt. Die
Konstabler übertreffen mit ihren rüden Umgangsformen schon bald den Polizeigeist der alten Gendarmen und stoßen bei der
Bevölkerung auf entschiedene Ablehnung.
Major Rimpler versucht nicht nur mit polizeilichen Mitteln, Ruhe und Ordnung in Berlin zu wahren. Um möglichen Tumulten
vorzubeugen, setzt er auch auf eine gezielte Information der Bevölkerung. In einer Bekanntmachung vom 21. Juni weist er auf
den bevorstehenden Durchzug von Infanterieregimentern hin. Er betont ausdrücklich, daß die Truppen nicht für Berlin bestimmt
sind, sondern sich nur auf dem Weg von Posen nach Magdeburg befinden.
Die Schießerei auf dem Köpenicker Feld
Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Gerade die Zerstörung der Maschine führt zu Einschränkungen bei den Erdarbeiten. Der
verstimmte Magistrat kündigt Entlassungen an - eine Maßnahme, die mit der Zerstörungsaktion gerade vermieden werden sollte.
Nachdem die städtischen Behörden auf verschiedene Proteste gegen die geplanten Entlassungen nicht reagieren, ziehen die
Arbeiter am 16. Oktober mit Schaufel, Spaten und einer roten Fahne Richtung Innenstadt. Eine Einheit der Bürgerwehr, die
sich den Demonstranten entgegenstellt, wird mit einem Hagel von Steinwürfen attackiert. Nachdem schon mehrere
Bürgerwehrmänner erheblich verletzt worden sind, eröffnet die Schutztruppe schließlich das Feuer. Zwei Arbeiter sterben
sofort im Kugelhagel, drei weitere Demonstranten erliegen wenig später ihren Verletzungen. Im Lauf des Tages kommt es zu
weiteren gewaltsamen Zusammenstößen, bei denen mehrere Arbeiter und auch ein Bürgerwehrmann getötet werden.
Viele Redner der Demokraten sind aber auch zugleich bemüht, mäßigend auf die erregten Demonstranten einzuwirken. Im Auftrag
der demonstrierenden Arbeiter bringen die Demokraten schließlich in die Nationalversammlung eine Petition ein, in der sowohl
die gerichtliche Verfolgung der Bürgerwehr als auch ein öffentliches Begräbnis der Toten und die Versorgung der
Hinterbliebenen gefordert wird. Nachdem die Petition im Parlament nicht mit Mehrheit verabschiedet werden kann, wird sie an
das Justizministerium weitergeleitet. Die Arbeiter reagieren empört, die Lage bleibt weiter gespannt.
Ullo Bohmhammel, der "Vizejefreite bei de Börjerwehr" mißt der demonstrativen Versöhnung von Arbeiterschaft und
Bürgerwehr einen hohen Rang zu. Er beschwört in einer "drömerigen Viehsion" sogar einen neuen Akt im
Revolutionsstück, nachdem der letzte Aufzug mit dem Tod von zwölf Menschen geendet habe. Die Begleitumstände des Trauerzuges
kommentiert er mit den Worten:
"Der Wind jedoch war sehr reactionär. Er wehte über´t Schloß von´t Rathaus her!"
Die sechste Gardinenpredigt fällt für den braven Bürgerwehrmann diesmal also nicht so schlimm aus. Beruhigt kann er nach der
Heimkehr von dem Arbeiterbegräbnis in seine Pantoffeln steigen.
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Oktober 1848: Auf dem Köpenicker Feld wird im Auftrag des Magistrats von Berlin ein Kanal ausgehoben. Das Projekt bietet
vielen Arbeitern auch noch im Herbst eine bezahlte Beschäftigung. Eine Dampfmaschine wird aufgestellt. Mit der
angeschlossenen Pumpe soll der Grundwasserspiegel in den Arbeitsschächten gesenkt werden. Schon in der Nacht zum 13. Oktober
wird die Maschine jedoch von mißtrauischen Arbeitern zerstört. Sie hatten befürchtet, daß der Einsatz der Maschine den
Einsatz vieler Arbeiter überflüssig machen könnte.
Der Demokratische Club gibt der Bürgerwehr eindeutig die Schuld an der Eskalation der Gewalt. In einem dramatischen Appell
wird die Bürgerwehr aufgefordert, sich mit der Arbeiterschaft zu versöhnen und fortan gemeinsam für das
"Wohl des Volkes" zu kämpfen.
Erst als ein extra gegründetes Bestattungskomitee beschließt, die erschossenen Kampfgefährten wenigstens mit einem
feierlichen Begräbnis zu ehren, beruhigen sich die aufgeregten Gemüter der demonstrierenden Arbeiter. Trotz schikanöser
Behinderungen von seiten des Magistrats - eine geplante Trauerversammlung auf dem Opernplatz wird als ungesetzlicher
Volksauflauf verboten - werden die Gefallenen des Köpenicker Felds und der Straßenkämpfe dann am 20. Oktober unter der
Beteiligung der Bürgerwehr zu Grabe getragen. Die Arbeiter wiederum erweisen am gleichen Tag dem gefallenen Bürgerwehrsmann
ihre Referenz.
Auch die Ehefrau des Bürgerwehrmanns Ludewig Bullrich ist auf den Magistrat offensichtlich nicht sehr gut zu sprechen:
"Alles is nu wieder jut, blos der Majestrat nich, Na denn laßen böse sind, Ludeken des schad´t nich."
Auch der Kommandeur der Bürgerwehr meldet sich nach dem Leichenbegängnis noch einmal zu Wort. Im Geist der Versöhnung
fordert er die Arbeiterschaft eindringlich dazu auf, die gesetzliche Ordnung zu achten und die Bürgerwehr bei ihrer schweren
Aufgabe zu unterstützen.